Mostar :: Wer A sagt ...

... m u s s  e i n e n  T e p p i c h  kaufen. Mostar ist im Gegensatz zu Sarajevo kaputt. Nicht nur die Trümmer an sich sind schwer zu ertragen. Am schlimmsten ist die ungewöhnliche Schönheit, die die Stadt trotz allem besitzt.

Unter solchen Umständen ist es ein Kraftakt, den Touristen zu spielen. Aber einer muss es ja tun, wenn es Museen gibt, Schneegläser mit Stari Most, Postkarten und Reiseführer. Und wer A sagt - Also muss ich einen Teppich kaufen. Man liebt Touristen, glaubt nur nicht recht an sie. Der Händler fragt mich, ob ich von der SFOR bin. Ich hätte nicht gedacht, dass die solche haben wie mich. 

Alte Frontlinie: Die Fassaden gucken wie Totenschädel, hohle Augen, grinsend aufgesperrte Mäuler, der Kugelhagel hat ihnen die Gesichter abgeschmirgelt bis auf die porösen Knochen. Mit eingeschalteter Warnblinkanlage wartet der Taxifahrer im Wagen und raucht drei Walter-Wolf-Zigaretten, während ich dastehe, allein auf dem Bürgersteig dieser abgestorbenen Straße, Auge in Auge mit den Häusern, die mich anstarren, wie ich sie. Ich frage mich, was es zu grinsen gibt. Vielleicht ist es unser Kinderkampf gegen die Zeit, der sie belustigt. In Mostar wurde der Witz in der Tat gelungen zu Ende erzählt, und die Pointe dauert an. Sagt die Menschheit zu sich selbst: Wir wollen nicht nur zwischen Dach und Fußboden leben, schließlich sind wir auch nicht bloß Fleisch und Knochen. Schönheit und Ordnung der Städte sollen unsere Seelen spiegeln, wie sie sind: In Ordnung und schön. Baut sich die Menschheit über Jahrhunderte Denkmäler und Symbole, um darin zu leben, bildet sich ab in Holz und Stein. Und schon an dieser Stelle beginnt es zu kichern im Innern der Häuser, dass es zwischen leeren Wohnzimmerwänden hallt. Schlägt die Menschheit nach fünfhundert Jahren mitten hinein in ihren mühsam errichteten Spiegel, dass alles splittert und bricht. Starrt fassungslos in die Scherben und sieht Fratzen, wo Gesichter waren. Sieht sich selbst, wie sie wirklich ist. Sieben Jahre Unglück. Wenn das nicht witzig ist. Ich fliehe vor dem schallenden Gelächter, zurück ins Auto.



Was man tun muss

In einem der Souvenirläden für 15 K-Mark  einen Stadtführer erwerben. Die Bücher sind 2001 gedruckt, beziehen sich aber in Text und Bild auf das Vorkriegs-Mostar, was die Lektüre noch interessanter macht: Tito stellt fest, dass Mostars Jugendblüte aus den Schulbänken in den Krieg zog und tapfer fiel im Kampfe gegen Okkupanten und einheimische Verräter. Aber nicht das löst den Schleudergang aus, es sind die Photos. Sie zeigen Mostars dreiundzwanzig Moscheen, die Altstadt, Brücken, blumengeschmückte Häuser, flanierende Menschheit, elegante Hotels. In einem von ihnen war ich heute, stand im kniehohen Gras und schaute durch das fehlende Dach in den unerbittlich blauen Himmel.

Das riesige Kreuz auf dem Berg über Mostar besuchen. Wäre das Kreuz ein Haus, hätte es fünfzehn Stockwerke. Wie soll ich mich fühlen an solch einem Ort, am Fuß dieses gigantischen Kreuzes, den Wind in den Haaren? Scheiße? Ganz normal? Als Christin, oder gleich als Herrin der Welt? Man verlässt die Stadt auf kroatischer Seite Richtung Westen, folgt der Serpentinenstraße nach Međugorje und Čapljina steil in die Berge hinauf. Die neu angelegte, breite  Schotterpiste (welche gleichzeitig Passionsweg ist) zum Kreuz beginnt im Scheitelpunkt einer scharfen Rechtskurve, schwer zu sehen, kein Schild! Man kann bis zum Kreuz fahren und auf den Betonsockel klettern, aber keine Spaziergänge auf der Bergkuppe unternehmen - das Gelände ist vermint.

Die türkische Altstadt besichtigt sich von selbst. Enge Gassen, Kupfer, Leder, Teppiche und duftende Märkte bedürfen keiner weiteren Anleitung oder Hilfestellung - you will see.

Die alte Frontlinie abgehen. Sie verläuft auf kroatischer Seite (rechts vom Fluss) und ist ebenfalls selbsterklärend.

Auf einer der Terrassen über der Neretva in der Abenddämmerung Wein trinken.

Sich im Pavarotti-Zentrum (türkische Seite an der oberen der beiden Straßen, die parallel zum Fluss verlaufen, am südlichen Ende der Stadt), den Handabdruck des Gründers in Gips bestaunen (große Pranken für große Gesten!) und das aktuelle Kulturprogramm holen. Wenn's geht, ein Konzert besuchen - am besten Klassik im Hof unter freiem Himmel!

In der Neretva baden, wenn es warm genug ist - das Wasser hat nie mehr als 17 Grad. Vor Beginn der zweiten Fußgängerbrücke von türkischer Seite kommend führen Stufen zu einer Betonplattform mit Badetreppe. Wenn es zu kalt ist, setzt man sich ans Ufer und starrt eine halbe Stunde lang ins Wasser, um über den Lauf der Dinge nachzudenken.

Wasser ohne Sorge aus der Leitung trinken.

In der Pansion Most absteigen (Adresse). Ein Einzelzimmer kostet ca. 80 K-Mark, Doppelzimmer 120 K-Mark, mit Klimaanlage, was im Sommer eine echte Erleichterung ist. Für etwas weniger Geld (etwa 40-60 K-Mark) gibt es auf türkischer Seite bei einer Familie ein ganzes Apartment (drei Schlafzimmer, Küche, Bad, Wohnzimmer, Balkon). Wenn man freundlich nachfragt an der Rezeption von Pansion Most ("Ich habe gehört, dass es auf der anderen Flussseite in der Nähe des Spitals irgendwo ein Apartment zu mieten gibt?"), bekommt man Hilfe bei der telephonischen Anfrage - die Vermieterin des Apartments spricht weder Deutsch noch Englisch, die zwölfjährige Tochter dolmetscht, wenn sie zu Hause ist.

Die ältesten türkischen Wohnhäuser der Stadt besichtigen. "Türk-Haus": "Hier ist Orient am Westen" und "Weltbekannt", daneben das schmutzige Photo eines nicht mehr jungen, traditionell gekleideten Paares. Wahrscheinlich müssen sie solche Schilder aufhängen, um Geld von der UNESCO zu kriegen. Das Haus steht auf langen Vorderbeinen im Fluss, hat einen Hof voller Blumen, und vor den offenen Fenstern und Türen bewegen sich Laken im Wind. Kleine Schilder überall auf türkischer Seite weisen den Weg dorthin. In "Türk-Haus" befindet sich ein Museum. Wer sich nicht davon abschrecken lässt, dass darin auch gewohnt wird, kann es besichtigen.

Die nachgebaute Kathedrale besichtigen: Auf kroatischer Seite, der freistehende Turm ist schon von Weitem zu sehen. Ich zähle Waschbetonplatten und schätze den Turm auf fünfzig Meter Höhe. Ein Parkhaus in Kathedralenform oder umgekehrt, alles nachgebildet aus Zement: Bogenfenster, ein Eingangsportal mit Säulen, Rosette und Kassettendecke. Der Innenraum ist leer. Ich stehe in der größten Betonhalle, die ich je gesehen habe. Die Kirche ist nur zu den Gottesdienstzeiten geöffnet, welche an der Tür angeschlagen sind. Wenn man der Messe nicht beiwohnen will, hat man im Anschluss eine halbe Stunde Zeit zur Besichtigung, während die Menschen das Gebäude verlassen.

Eine halbe Stunde auf der provisorischen Brücke verbringen, die Stari Most (= Alte Brücke, zerstörtes Symbol von fünfhundert Jahren Völkerverständigung auf dem Balkan) ersetzt: Unter uns im Wasser baut eine türkische Firma das Fundament der Alten Brücke wieder auf. Fünfhundert Jahre später werden die Steine zum zweiten Mal aufeinander gesetzt, nach den alten Plänen aus dem Staatsarchiv in Ankara.

Frische Feigen von den Bäumen essen. Reichlich vorhanden vor allem am Ufer des Neretva-Zuflusses auf kroatischer Seite.

Falls gerade Juli oder August ist, erkundigt man sich, wann das traditionelle Showspringen in die Neretva stattfindet und geht hin, wenn es sich irgendwie einrichten lässt!

Im Mine Action Center um Minenaufklärung und Photokopien von Minenkarten bitten (Originale werden nicht gern verschenkt). Man überquert die Autobrücke von türkischer zur kroatischen Seite und biegt kurz vor Hotel Ero (nicht zu übersehen) rechts ab. Diese Straße (parallel zum Fluss) fährt man fast bis zum Ende. MAC befindet sich auf der rechten Seite und hat nur ein kleines Schild an der Tür.


Die Neretva

Ausgangspunkt

Mostar eignet sich gut als Ausgangspunkt für die Besichtigung anderer Orte in der Herzegowina. Allein die Fahrten entlang der Neretva oder oben auf den Bergkämmen sind die Reise wert. Die Landschaft hat auf dem Hochplateau eine Kurzpräsentation von Nordafrika vorbereitet, staubiges Gelb mit Überresten arabischer Festungsanlagen, ein paar Kühe in Statistenrollen als Gnus mit Senkrücken und herausstehenden Hüftknochen. Mühelos erreicht man zum Beispiel:

Blagaj (ca. 20 Minuten), und das nicht nur zum Forellenessen. Man verlässt Mostar auf der linken Flussseite Richtung Süden, an SFOR-Lager und Flughafen vorbei und hält Ausschau nach einem Schild auf der linken Straßenseite, das Blagaj ausweist. Die Hauptstraße durch Blagaj bis zum Ende fahren.
In die Buna sind Steinbecken eingelassen, für rot und schwarz getupfte Fische, die man nur auf Bügelbrettern im Ganzen servieren könnte. Wir sitzen mit Blick auf die Steilwand, längsgestreift von rinnendem Wasser, unten entlässt eine Grotte den Fluss. Blagaj ist aus Wasser und Stein, aus Baumsilhouetten und Menschen, die sich bedächtig bewegen, um einander nicht zu erschrecken. Wir sprechen nicht viel, es gibt genug zu sehen. Der Scherenschnitt eines Mädchens, die Schuhe in der Hand, überquert vor der angestrahlten Felswand die Staumauer.

Počitelj (ca. 30-45 Minuten): Irgendetwas erinnert an Rom. Man sieht der Kleinstadt an, dass sie in Galeeren die Neretva heraufgebracht wurde: Kalk, Nägel, Bretter und Schießmaterial, sagt der Reiseführer. Ein in den Fels gebackenes Ruinenfeld, jede Gasse eine Treppe, kaum eine Mauer übersteigt noch die Augenhöhe, die Steine scheinen nur lose aufeinander zu liegen, und ich frage mich, ob die ganze Stadt in sich zusammenfallen wird wie eine Konservenpyramide, wenn ich irgendwo einen herausziehe. Komplett in einen steilen Hang über dem Fluss gebaut, existiert diese Stadt auf verschiedenen Zeitebenen - 3. Jahrhundert, römisches Reich; 17. Jahrhundert, osmanische Besatzung; 22. Jahrhundert, nach dem Ende aller menschlichen Zivilisation - nur nicht in der Gegenwart. Geschäfte gibt es keine, etwa vier Häuser sind noch oder wieder bewohnt. BogomieleWenn man Mostar auf der linken Flussseite Richtung Süden verlässt, befindet sich Počitelj nach einer halben Autostunde am linken Berghang. Kein Ortsschild. Wegen der Serpentinen entdeckt man die Festungsanlage und den Uhrenturm oberhalb der Steilwand am Ufer der Neretva eigentlich erst, wenn man schon vorbeigerauscht ist.

Stolac hat im Zuge der ethnischen Säuberung durch Vertreibungen, Ein-, Aus- und Umsiedlung vollständig sein Gesicht verloren. Eines der größten Grabfelder der Bogomilen (einer christlichen, als Ketzer verfolgten Religionsgruppe aus dem 16. Jahrhundert) liegt kurz vor der Stadt. Von Mostar kommend, befindet sich die Nekropole etwa 15km vor Stolac auf der rechten Straßenseite.
Ich pfeife "Hit the road, Jack" vor mich hin. Dem Supermarkt zur Linken mit angeschlossener Tankstelle fehlen noch ein paar Typen in öligen Jeans, die an einem alten Pontiac herumschrauben. Plötzlich entdecke ich im Vorbeifahren die steinernen Truhen am Straßenrand. Auf den ersten Blick sehen sie wie eine Science-Fiction-Stadt für handgroße Wesen aus, zusammengedrängt auf engem Raum. Steinquader, Platten und grob behauene Kreuze im gelben Gras. Ohne Zaun und Hinweisschild, Kulturschätze kann man nicht essen.

                                 Stolac und Umgebung 

Ethnische
Zugehörigkeit

Einwohner vor
dem Krieg

Einwohner nach
dem Krieg

Davon
Vertriebene

Bosnische
Moslems

7.500

900

185

Bosnische
Kroaten

6.400

11.000

4.500

Bosnische
Serben

3.900

120

120

Sonstige

500

30

30

Gesamt

18.300

12.050

4.835

Quelle: Beauftragter der Bundesregierung für Bosnien Hans Koschnik http://www.bbs.bund.de/home.htm

Die Villa Rustica in Mogorjelo zu finden, ist eine Aufgabe für Fortgeschrittene. In Čapljina (ausgeschildert von Mostar aus) folgt man der Hauptstraße und biegt links nach Süden ab, bevor die Straße den Ort in westlicher Richtung die Berge hinauf nach Međugorje verlässt. Die Villa Rustica ist einer der deutlichsten Fußabdrücke des römischen Reichs auf dem Balkan. Die Fundamente sieht man nicht von der Straße aus, erkennt den Ort aber an dem vorgelagerten Restaurant (dicke Aale!) mit Kiesparkplatz. Es gibt keine Archäologen, die sich in die Erde buddeln, auch keine Vitrinen mit Scherben, korrodierten Münzen und dem Schmuck kindgroßer Frauen. Einfach nur Mauern, von Menschen gebaut, die seit anderthalb Jahrtausenden tot sind, von ein paar Römern fern ihrer Heimat. Reste von Ölpressen, Backstuben, Weinkellern, Brunnen und Ställen. Dazu Palmen, natürlich Feigen, Schmetterlinge und Eidechsen. Nicht einmal in Rom habe ich mich Rom so nahe gefühlt. Ich komme mir wie Heinrich Schliemann vor.



Was man  n i c h t  tun muss

Forellen essen in Mostar - denn die gibt's in Blagaj!

Ohne vorheriges Abkühlen in die Neretva springen. Wadenkrampf, Herzinfarkt, Hirnschlag und Kreislaufkollaps sind vorprogrammiert.

Vom Hotel aus telephonieren. Das gilt natürlich nicht nur in Mostar. Roaminggebühren nerven, aber das kann sich relativieren, wenn man im Hotel nach den Preisen für Auslandsgespräche fragt.

Spaziergänge im Gelände außerhalb der Stadt. Mostar ist von einem breiten Kranz Landminen eingeschlossen.

Sich schämen bei der Frage "Sprechen Sie deutsch?" In Bosnien sprechen eine Menge Leute ausgezeichnetes Deutsch (Flüchtlinge in Deutschland, Österreich oder der Schweiz), und generell sind Deutsche jedenfalls auf Konföderationsgebiet ausgesprochen beliebt!

Angesichts der Trümmer in Betroffenheits-Routine verfallen. Die Durchschnittslaune der Bevölkerung ist in Mostar besser als in den meisten mittelgroßen deutschen Städten.

Vorurteile mitbringen über die schwelende Feindschaft zwischen kroatischer und muslimischer Seite, die in der Zerstörung der Alten Brücke ihre ewige Manifestation gefunden habe. Am besten, man redet mit möglichst vielen Menschen und macht sich selbst ein Bild.


                                 Mostar und Umgebung 

Ethnische
Zugehörigkeit

Einwohner vor
dem Krieg

Einwohner nach
dem Krieg

Davon
Vertriebene

Bosnische
Moslems

10.266
16,7 %

7.203
12,6 %

585

Bosnische
Kroaten

33.500
54,5 %

47.255
82,5 %

16.227

Bosnische
Serben

9.500
15,5 %

1.992
3,5 %

215

Sonstige

8.175,7
13,3 %

7931,4 %

85

Gesamt

61,441
100 %

57.243
100 %

17.112

Quelle: Beauftragter der Bundesregierung für Bosnien Hans Koschnik http://www.bbs.bund.de/home.htm



E. T. nach Hause telefonieren

     Vorwahl:
Von Deutschland aus: 00 387 - 36
Von einem Ort in Bosnien aus: 0 36

Internet gibt es in der Eingangshalle von Hotel Bristol. Man kauft an der Rezeption einen Zettel mit Login-Code für 5 K-Mark (= eine Stunde Internet) und wählt sich ein. Wenn man den Kredit nicht verbraucht, bleibt er unter dem selben Login-Code erhalten fürs nächste Mal.